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Die Brennnessel als Faserpflanze

Brichst du diese Nesseln mit deinen Füßen, so erhältst du Flachs; aus diesem mußt du elf Panzerhemden mit langen Ärmeln flechten und binden; wirfst du sie über die elf Schwäne so ist der Zauber gelöst. (Hans Christian Andersen: Die wilden Schwäne)

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Obwohl die Textilherstellung aus Brennnesseln ein lange Tradition hat und zum Teil heute noch Brennnesselstoffe mit der Hand hergestellt werden, sind davon in unserem Bewusstsein oft nicht viel mehr als ein paar märchenhafte Schemen übrig geblieben. Die ersten Funde verarbeiteter Brennesselfasern gehen auf die Zeit zwischen 4 000 bis 3 500 v.u.Z. zurück. Auch Ötzi war mit Nesselfäden ausgestattet. Brennnesselfasern wurden bei uns bis ins 18. Jahrhundert grob verarbeitet und als Kornsäcke oder Filtertücher in der Käseherstellung benutzt. Aber auch feine Brennnesselstoffe konnten hergestellt werden und dienten als Unterkleider oder Bettwäsche für Fürsten und Könige.

Auf der Suche nach Alternativen zur Baumwolle, interessiert man sich auch heute wieder mehr für die Brennnessel als Textilpflanze. Die Brennnesselfaser scheint als Textilie sehr vielversprechend: Ihr Anbau ist umweltfreundlich, denn es ist quasi keine Schädlingsbekämpfung notwendig. Sie besitzt einen seidenartigen Glanz und glatten Griff, wirkt auf der Haut angenehm und temperaturausgleichend. Sie kann viel Feuchtigkeit aufnehmen und lässt sich leicht färben. Bei guter Verarbeitung ist sie verschleißarm und schmutzabweisend.

Bisher war die industrielle Herstellung von Brennnesseltextilien dennoch wenig populär. Grund dafür ist unter anderem Tatsache, dass die industriell aus der Großen Brennnessel gewonnene Faser zu kurt und daher nur für Mischgewebe geeignet war. Im Verbund mit anderen Materialien werden Brennnesselfasern heute beispielsweise in der Autoindustrie oder im Flugzeugbau verwendet. Aktuell gibt es beispielsweise das Unternehmen Mattes & Ammann, das sich der Forschung über industrielle Verarbeitung der Brennnesselfaser zu Textilien widmet und für die Designerin Gesine Jost eine Fasernessel mit dem Namen „Marlene“ gezüchtet hat.

Möchte man die Brennnessel mit der Hand zu Textilien verarbeiten, so ist dieser Prozess entsprechend aufwendig. Die Fasern der Brennnessel befinden sich direkt unter ihrer Rinde. Um daran zu gelangen, muss der Stängel aufgebrochen und die Fasern vorsichtig davon abgezogen werden. Dann werden Rinde und Bast, z.B. mit einem stumpfen Messer, abgeschabt. Anschließend können die Fasern zu einem dünnen Faden gesponnen oder zu einer Kordel verdrillt werden.

Di Virgilio, Nicola et al. (2015): „The potential of stinging nettle (Urtica dioica L.) as a crop with multiple uses“. In: Industrial Crops and Products, 68, 42-48.

Frintrup, Mechthilde (2020): Das Brennnessel-Buch. Die magische Nahrungs-, Heil- und Faserpflanze. Mit Rezepten und praktischen Anleitungen. Aarau: AT Verlag.

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